Mittwoch, Februar 15, 2006

Delfin

In der griechischen Mythologie tauchen Delfine als Totemtier der Göttin Demeter auf. Als der Sonnengott Apollon auf einer Insel mitten im Meer geboren wurde, wurde er anschließend von einem Delfin an Land gebracht. Als Sternbild in den Himmel erhoben wurde der Delfin, weil er Poseidon half, die Hand der Meeresnymphe Amphitrite zu gewinnen. In vielen altgriechischen Darstellungen ritten die Nereiden auf dem Rücken von Delfinen. Der aus Neid über Bord geworfene Sänger Arion von Lesbos wurde der Sage nach von Delfinen gerettet.


Auch in der modernen Mythologie und Esoterik spielen Delfine eine erhebliche Rolle. Insbesondere der amerikanische Neurophysiologe John Cunningham Lilly, der in den sechziger und siebziger Jahren obskure Experimente mit Isolationstanks und LSD betrieb und behauptete, so mit Delfinen kommunizieren zu können, machte Delfine zum Symboltier in der Esoterik- und Hippie-Bewegung. In den fünfziger und sechziger Jahren hatte Lilly zunächst wissenschaftlich anerkannte Beiträge zur Kommunikation und zur Verhaltensphysiologie der Delfine geleistet.

Mittwoch, Februar 08, 2006

Die Steine der Tränen (Quechua, Peru)


Als zu Cuzco der Inka Mayta Capac herrschte, lebte in einer der abgelegensten Ortschaften seines unermeßlichen Reiches ein Silberschmied namens Apasanca. Da er in seinem Handwerk ungewöhnlich geschickt war, ein großer Künstler sogar, übergab ihm der Häuptling einen großen Barren Silber, damit er ihm ein paar schöne Geräte daraus fertige. Doch gleich in der ersten Nacht, noch ehe er mit der Arbeit begonnen hatte, drangen Diebe in sein Haus und stahlen den Silberbarren, obwohl Apasanca und zwei Hunde im selben Raume schliefen. Dieser Diebstahl bedeutete für den Silberschmied den Tod, denn für das Silber war er dem Häuptling haftbar mit seinem Leben, nach dem Gesetz des Landes. Und nichts hätte ihn vor der Wut des Häuptlings retten können.


Als er so verzweifelt dasaß und keinen Rat mehr wußte, als sich selber zu entleiben, da klopfte es an die Tür, und herein trat ein uraltes Weiblein.

"Hör mich an, mein Sohn", sagte sie. "Pacha mama, die alles sieht und hört, schickt mich her zu dir. Ich soll dich trösten und ich werde mit dir weinen. Dein Unglück ist auch mein Unglück." Und schon sank das Weiblein zu Boden und fing ganz schrecklich an zu weinen.

Der Silberschmied wußte nicht gleich, was er sagen sollte. Aber sein Erstaunen verwandelte sich plötzlich in ein freudiges Erschrecken. Denn er sah, daß die bitteren Tränen der alten Mutter in dem Augenblick, da sie die Erde berührten, zu lauterem Silber wurden.

Apasanca sammelte die schweren Silbertropfen hastig auf. Er konnte sie gar nicht so rasch aufheben, wie diese seltsame Frau die silbernen Tränen vergoß. Dreimal zwei Hände voll hatte der Schmied schon beisammen, als die Frau zu weinen aufhörte und sagte: "Ich glaube, mein Sohn, für heute hast du genug Silber, um morgen daran zu arbeiten. Sei fleißig und sorge dich nicht mehr. Morgen werde ich wiederkommen und dir neues Silber weinen. Und ich werde so lange kommen, bis die Menge wieder beisammen ist, die dir der Häuptling übergeben hat."

Als sich die alte, gebeugte Frau umwandte und die Hütte wieder verlassen wollte, stieg plötzlich das böse Blut Apasanca zu Kopf und verwirrte seine Sinne. Er warf sich auf die schwächliche Alte, schleuderte sie zu Boden, band ihr Hände und Füße mit festen Riemen und schlug mitleidlos auf sie ein.

Und die alte Frau, die von Pacha mama geschickt worden war, den Silberschmied zu trösten, krümmte sich vor Schmerzen und weinte bitterlich. Aber das hatte Apasanca nur gewollt in seinem Wahn und in seiner Gier nach dem Silber, weil alle Tränen der mißhandelten Frau sich in pures Silber verwandelten. Der rohe Schmied schlug so lange auf die Frau ein, bis ein Hügel von Silbertränen am Boden lag.

Ermüdet hielt Apasanca inne. Die Frau weinte nicht mehr: aus den Klauen dieses grausamen Menschen hatte sie der Tod erlöst - der Silberschmied war an ihr zum Mörder geworden. Er packte das zuschandengeschlagene Bündel und warf die Leiche in den Abgrund.

Zufrieden, daß ihm dies alles so glatt von Händen gegangen war, kehrte er in seine Hütte zu dem Silberhaufen zurück. Doch da durchzuckte es sein Herz wie ein Stich: was vordem eine Menge Silber gewesen war, hatte sich plötzlich zu einem harten Steinblock verwandelt, der wie Tränen schimmerte.

Da hielt es den Silberschmied nicht länger mehr in seiner Hütte. Er irrte durch die Berge und die tiefen Schluchten der Cordillere, jammernd und klagend, erfüllt von Wut und Verzweiflung.

Eines Nachts kam er, ohne daß es in seinem Willen lag, wieder in die Gegend seines Dorfes und mußte die Baumbrücke überschreiten, von der er die alte Frau, die seine leibhaftige Mutter gewesen war, in die Schlucht hinabgeworfen hatte. Und die Brücke brach unter ihm zusammen und ließ ihn in die nämliche Tiefe stürzen, zu den kochenden Stromschnellen, die sein Opfer begraben hatten.

Seine Hütte im Dorf aber zerfiel. Doch der schimmernde Steinblock blieb stehen. Er steht noch immer an der Landstraße, gleich den vielen anderen Apachetas in dieser Gegend, den Kristallblöcken, die der Pacha mama heilig sind, weil aus ihnen, bis auf den heutigen Tag, die Tränen des Mitleids und des tiefen Schmerzes einer Mutter schimmern.